„Entspann dich doch einfach mal“ oder „Trink weniger Kaffee, dann klappt das schon“: Hast du solche unerwünschten Tipps und Kommentare auf deiner Kinderwunsch-Reise auch schon gehört? Dieser Input von Außenstehenden kann in einer schwierigen Zeit zusätzlich belasten. Wir haben uns in der fertilitips-Community nach ungebetenen Sprüchen umgehört – und systemischer Resilienz-Coach Laura Letschert erklärt dir, wie du besser damit umgehen kannst.
„Entspann dich doch einfach mal“
Ein Klassiker, den vermutlich viele Personen mit Kinderwunsch kennen: „Mach dich locker, nimm Stress raus, denk einfach an etwas anderes.“ Auch wenn Stress ein Faktor sein kann, der zwischen dir und deinem Kinderwunsch steht, hilft dieser Ratschlag nicht weiter. „In mir hat das erst recht viel Druck erzeugt“, sagt Anke*, die selbst lange einen Kinderwunsch hatte, bis sie schwanger wurde. „Wie soll ich mich auf Knopfdruck entspannen? Und es impliziert, dass ich durch meinen Stress dafür verantwortlich bin, nicht schwanger zu sein.“
Ein weiterer Kommentar, der sie sehr verletzt hat, war: „Du musst es einfach nur genug wollen, ich glaube, du willst gar nicht wirklich schwanger werden.“ Absenderin war eine Freundin, die selbst schnell schwanger geworden war. „Da dachte ich mir nur: Was weißt du denn schon? Du hast ja leicht reden…“
„Ich würde an deiner Stelle mal mehr auf deine Ernährung achten“
Sobald es um Kinderwunsch und Schwangerschaft geht, richten sich alle Augen plötzlich auf deinen Teller: Was isst du – und was isst du nicht? Was trinkst du und was nimmst du an Ergänzungsmitteln zu dir? Jede:r hat plötzlich eine Meinung und möchte sie oft ungefragt mit dir teilen. „Mir hat eine Freundin gesagt, wenn ich beim Essen nicht so kompliziert wäre, wäre ich längst schwanger“, erzählt Kerstin*, die ebenfalls lange in Kinderwunschbehandlung war. „Dabei habe ich eine Glutenunverträglichkeit und vertrage keine Milch. Das allein ist nervig genug, zusätzlich musste ich mir den Vorwurf gefallen lassen, ich würde mich nur anstellen und könne deshalb nicht schwanger werden.“
Auch Kerstin hörte hier die Botschaft heraus, sie selbst sei durch ihr Verhalten verantwortlich dafür, nicht schwanger zu sein. „Das kam immer wieder“, sagt sie.
„Zu viel Arbeit oder zu wenig, zu viel Sport oder zu wenig Bewegung, zu wenig gegessen, das Falsche gegessen, zu wenig geschlafen – all das hört man so oft.
Und es schreibt die Schuld immer den Frauen zu, denen es ohnehin schon schlecht genug geht.“
Wie kannst du auf solch einen ungefragten Rat reagieren?
„Ganz grundsätzlich können wir Kommunikation von zwei Richtungen aus betrachten: Die Perspektive des Senders und die des Empfängers“, sagt Laura. „Natürlich sind wir immer Sender:innen und Empfänger:innen, aber wir betrachten uns in dieser spezifischen Situation jetzt mal primär als Empfänger:innen. Die Kommunikation des Senders können wir nicht oder nur bedingt beeinflussen, aber wir haben zu 100 Prozent in der Hand, wie wir als Empfänger:innen mit der Botschaft – also in dem Fall mit dem ungebetenen Ratschlag – umgehen.“
Sich über die eigenen Gefühle bewusst werden
Dafür ist es im ersten Schritt hilfreich, wenn du beobachtest, was dieser Rat in dir auslöst, welcher Wirkung er auf dich – ganz konkret: auf deine Gedanken und Gefühle – hat. Nehmen wir an, eine Freundin erzählt dir, sie habe bei ihrem Kinderwunsch auf Kaffee verzichtet und sei sofort schwanger geworden, vielleicht solltest du das auch mal ausprobieren. Was bewirkt dieser Ratschlag in dir? Vielleicht spürst du eine aufsteigende Wut und fühlst du dich unverstanden.
Das eigene Bedürfnis erkennen
Im zweiten Schritt kannst du dann für dich erkennen, welches deiner inneren Bedürfnisse hier gerade nicht erfüllt wird beziehungsweise, was du in dieser Situation von deinem Gegenüber brauchst. Bleiben wir bei dem Beispiel mit der Freundin und dem Kaffee: Was wünschst du dir (anstelle des ungebetenen Ratschlages) von deiner Freundin? Zum Beispiel, dass die Freundin einfach fragt, wie es dir geht oder ob du etwas von ihr brauchst? Dass sie dir einfach zuhört oder auch eine Würdigung davon, was du schon alles tust und machst, um schwanger zu werden? Welches genaue Bedürfnis steckt hinter dem Gefühl, das du in dir spürst?
„Sobald du selbst weißt, welche Bedürfnisse du hast, kannst du sie auch kommunizieren, anstatt vielleicht genervt zu reagieren oder dich zurückzuziehen“, empfiehlt Laura. „Wenn die Person deine Freundin ist, können wir davon ausgehen, dass sie es nur gut mit dir meint und dir gerne helfen würde – nur, dass diese Hilfe durch den ungebetenen Rat sich für dich nicht als Hilfe anfühlt. Also fass dir ein Herz und sag ihr, welches Gefühl dieser Rat bei dir auslöst und was dir stattdessen gut tun würde. So habt ihr beide die Möglichkeit, etwas in eurer Kommunikation zu ändern.”
„Du bist halt auch nicht mehr die Jüngste“
Sobald du die 30 überschritten hast, könnte dir dieser Spruch öfter begegnen. Ein Kommentar, der Menschen mit Kinderwunsch in ihrer Situation überhaupt nicht hilft und der schlimmstenfalls sogar Schuldgefühle erzeugt. „Besonders verletzend fand ich immer die Aussagen, die unterstellen, dass ich selbst schuld bin, nicht schwanger zu werden“, sagt Anke. Dieser Kommentar fällt ihrer Meinung nach in diese Kategorie, denn er beinhaltet den Vorwurf: „Hättest du mal früher angefangen…“
„Mich haben immer wieder Leute darauf hingewiesen, wie alt ich bin – auch Ärzte“, erzählt Anke. „Oft bekam ich zu hören, dass ich jetzt auf die 40 zugehe. So, als würde die Fruchtbarkeit dann von einem auf den anderen Tag abnehmen. Ein Arzt sagte mir: ‚Ich bin genauso alt wie Sie und habe schon drei Kinder.‘ Das fand ich total unangemessen – was soll ich mit dieser Aussage anfangen?“
Wann es Sinn macht, darüber zu reden
„Grundsätzlich finde ich es hilfreich, dass ich mir in solchen Momenten, wie von den Frauen beschrieben, selbst klar mache: Diese Aussage ist nur ein Päckchen vom Sender, es gehört nicht zwangsläufig zu mir. Sondern ich entscheide als Empfänger, ob ich es annehmen und auspacken will – oder ob ich es ganz bewusst beim Absender lasse“, sagt Laura. „Um es anders auszudrücken: Wer hat hier das Problem? Und will ich das Problem von meinem Gegenüber gerade zu meinem eigenen machen?”
Du kannst außerdem filtern, welche Botschaften dich nachdrücklich verletzen und wo es nur ein kurzes Aufblitzen der Verärgerung ist, das wir alle aus dem Alltagsgeschehen kennen.
Wenn dir jemand die Vorfahrt nimmt, regst du dich in dem Moment auch auf, weil du vielleicht sowieso gereizt und in Eile bist, aber kurz darauf ist dieser Unmut dann auch wieder vergessen. „Das sind solche inneren konfliktbehafteten Situationen, die wir als Kategorie ‚Schwamm drüber‘ bezeichnen können. Einige Situationen, in denen du ungewollten Ratschläge von anderen bekommst, können genau in diese Kategorie fallen“, erklärt Laura. „Vielleicht merkst du ein paar Stunden oder auch einen Tag später, dass dich die Aussage einer Person gar nicht mehr so sehr stört, obwohl sie dich in der Situation selbst wirklich geärgert hat. Dann musst du keine Energie investieren, um dazu ins Gespräch zu gehen. Du kannst dich immer fragen: Schwamm drüber oder ansprechen?”
Die eigenen Ressourcen und die eigene Verfassung sollten dir zusätzliche wichtige Beraterinnen in diesen Situationen sein. Wie geht es dir, bist du in der Verfassung, diesen kleinen Kampf zu führen? „Wenn dein:e Gynäkolog:in einen unangebrachten Spruch zum Thema Kinderwunsch bringt und du gerade halbnackt auf dem Untersuchungsstuhl sitzt, dann kannst du dich auch bewusst gegen eine Reaktion in diesem Moment entscheiden“, sagt Laura. „Das bedeutet nicht, dass du dich dadurch selbst verrätst und dir alles gefallen lässt. Genauso okay ist es, wenn du deine Empfindungen klar zum Ausdruck bringst. Entscheidend ist: Hol dich zurück an das Steuerbord in der Situation.“
„Nicht jeder muss ein Kind bekommen“
Vielleicht ist es als Aufmunterung gedacht und aus der Hilflosigkeit heraus gesagt – doch auch ein Spruch wie „Nicht jeder muss ein Kind bekommen“ kann sehr verletzend sein. Kerstin kennt ihn gut, genau wie „Es sollte halt einfach nicht sein.“ Dadurch fühlte es sich für sie so an, als würden andere Personen eine mögliche Schwangerschaft bereits abschreiben und nur mit einem Schulterzucken darauf reagieren, dass dieser große Wunsch nicht in Erfüllung geht.
„Wirklich schön fand ich es hingegen, wenn mir jemand sagte: ‚Ich glaube fest daran, dass es klappt‘“, sagt Kerstin. „Ich fand es extrem aufbauend, wenn mir Menschen Zuversicht zugesprochen haben, wenn ich zwischenzeitlich selbst nicht mehr daran glaubte, dass mein Wunsch in Erfüllung geht.“ Schön, dass es auch solche Beispiele gibt.
Wichtig ist: Wer ist Absender:in des Kommentars?
Genauso wie der Inhalt und die Situation des Päckchens darüber entscheiden, ob du langfristig verletzt oder nur kurz verärgert bist, spielt auch der oder die Absender:in eine zentrale Rolle. Denn die Beziehung zu dieser Person ist ausschlaggebend für unsere Einordnung und Bewertung des Kommentars, aber auch für die Entscheidung, ob wir aktiv ansprechen wollen, dass uns diese entsprechende Aussage verletzt hat und warum. Deswegen können dich folgende Fragen weiterbringen: „Wie wichtig ist dir diese Person grundsätzlich in deinem Leben? Welche Rolle spielt dieser Mensch auf deiner Kinderwunschreise? Wie nah möchtest du diese Person miteinbeziehen? Inwieweit möchtest du dich auf seine Meinung, Erfahrung und Unterstützung berufen?”
„Beantwortest du diese Fragen für dich, dann hast du schon mal eine essenzielle Klarheit, die dir immer wieder verdeutlicht: In welche Beziehung lohnt es sich, Energie, Zeit und auch Arbeit reinzustecken und wo eben nicht?” so die Expertin. Dann wird der Kommentar von Sabine – der Tratschtante aus dem Dorf, die in deinem Leben überhaupt nicht wichtig ist – eher zu einem unterhaltenden Ereignis, bei dem du ganz cool bleibst, anstatt zu einer nervenaufreibenden Begegnung in der Gemüseabteilung. Auch hier nimmst du eine klare Haltung ein und bringst dich zurück ans Steuerbord.
Das klärende Gespräch suchen
Handelt es sich jedoch nicht um eine „Schwamm drüber“-Situation bei einer Person, die dir sehr wichtig ist – weil eine Grenze überschritten wurde oder es immer wieder zu verletzenden Kommentaren kommt – dann lohnt es sich, in ein klärendes Gespräch zu gehen.
Das Gute ist: Du kannst ein solches Gespräch für dich etwas vorbereiten, um dich sicherer in der Gesprächssituation selbst zu fühlen.
Schreibe dir ein oder zwei Beispiele auf, die dich verletzt haben und lass die Finger von Pauschalisierungen wie „Du machst ja immer diese Sprüche.“ oder „Nie siehst du, wie es mir wirklich geht.“ Schildere im Gespräch genau die Situationen, die dich belasten und sage, welche Wirkung sie auf dich haben. Bringe der Person auch zum Ausdruck, dass sie dir wichtig ist und dass du das Thema deshalb aus der Welt schaffen willst. Gut ist es, direkt auch einen konkreten Wunsch zu äußern, damit die Person weiß, wie sie in Zukunft besser handeln kann – so wie auch bei dem anderen Beispiel mit der Freundin, die rät, keinen Kaffee mehr zu trinken. Es geht wieder darum, deine Bedürfnisse zu verdeutlichen.
„Genauso bedeutend wird es für eure Beziehung sein, dass du die Beweggründe der anderen Person hinterfragst und auch ehrlich verstehen willst – denn eine Beziehung ist nie eine Einbahnstraße”, sagt Laura. Stellen wir uns vor, deine Mutter verletzt dich durch einen Spruch im Stil von: „Früher haben wir nie so ein Theater darum gemacht, da hat es einfach geklappt.“
Dann könntest du ein paar weitere Fragen stellen, um ihre Perspektive besser zu verstehen. Vielleicht wird dir dann deutlich, dass hinter diesem Kommentar eine viel tiefere Aussage liegt. Nämlich, dass sich deine Mutter riesige Sorgen macht und selbst hilflos ist, weil sie dir den Druck nicht nehmen kann und sieht, wie sehr du leidest. Laura erklärt weiter: „Häufig erkennen wir durch solches Nachfragen, dass die Person gerade nicht besser weiß, wie sie ihre Sorgen zum Ausdruck bringen soll und merken: Sie gibt ihr Bestes. Das soll keine Entschuldigung und kein Freifahrtschein für jegliche Aussagen sein, sondern es soll helfen, einander besser zu verstehen und die Beziehung zu diesem wichtigen Menschen zu stärken.”
Lohnt es sich, deinen Emotionen auf den Grund zu gehen?
Allgemein kann dir eine Reflexion und die bewusste Auseinandersetzung schon helfen, in Zukunft gelassener und gestärkter mit ungewolltem Input umzugehen. Dafür kannst du versuchen, in und nach solchen Situationen innezuhalten, dich zu beobachten und gegebenenfalls auch aufzuschreiben, was dich beschäftigt.
Und falls du merkst, dass du an einem Kommentar lange zu knabbern hast oder alleine wiederkehrende Konflikte nicht lösen kannst, dann steckt dort auch eine Chance für dich, tiefsitzende Themen zu bearbeiten.
„Manchmal merken wir, dass ein Kommentar von außen ein inneres Thema an die Oberfläche holt, das wir schon lange mit uns herumtragen, das bisher aber im Verborgenen geblieben ist“, sagt Laura. „Bei solchen unverarbeiteten Themen beziehungsweisen Erfahrungen und Emotionen kann es sich lohnen, in ein Coaching oder eine Therapie zu gehen, um diese ungeklärten Konflikte zu bearbeiten und so mit leichterem Gepäck deine Kinderwunschreise anzutreten.“
*Wir haben die Namen der Protagonistinnen für diesen Text geändert, weil sie lieber anonym über ihre Erfahrungen sprechen möchten.