Mental Health: Wie kannst du die Kinderwunschreise trotz Rückschlägen gut meistern?

Frau die mit einer Gießkanne Blumen die auf ihrem Kopf wachsen, gießt
iStock/Artis777

Mental Health: Wie kannst du die Kinderwunschreise trotz Rückschlägen gut meistern? 

Immer wieder hoffen, bangen, warten – und dann oft die Enttäuschung: Es hat wieder nicht geklappt. Die Kinderwunschreise kann sehr lang und schmerzhaft sein, sie bringt immer wieder Momente der Frustration und Verzweiflung mit sich. Wie schaffst du es, hier mental und emotional stabil zu bleiben? Was kann dir helfen, die Zeit gut durchzustehen und wie findest du heraus, was dich persönlich stärkt? Laura Letschert ist Coach für Veränderungsprozesse und teilt hier wertvolles Wissen und verschiedene Strategien mit dir.  

Für viele Frauen und Paare ist es zunächst eine sehr schmerzhafte Erkenntnis, dass es mit einer Schwangerschaft nicht so einfach klappt. Wie schafft man es, das anzunehmen und nicht zu lange in Wut, Ablehnung und Resignation zu verharren?  

Ich glaube, dass es zunächst helfen kann, Wut, Traurigkeit oder auch Resignation als Gefühle wahrzunehmen, die auf dieser langen Reise immer wiederkehren werden. Es geht nicht darum, diese Gefühle aufzulösen oder über sie hinwegzukommen, damit es ab dann nur noch bergauf geht. So wie das ganze Leben immer wieder mal aus diesen Gefühlen besteht, so ist es auch bei der Kinderwunschreise. Es ist wichtig, dass wir uns erlauben, diese Gefühle auch zu fühlen und nicht den Druck verspüren, dass wir sie jetzt auflösen müssen. Denn das erzeugt zusätzlichen Stress, den man in dieser Situation gar nicht brauchen kann. 

Es geht auf der Kinderwunschreise ja immer wieder darum, wie man in die Entspannung kommen kann, wie man loslassen kann und Raum für Neues erschafft. Denn unsere Emotionen sitzen im Körper und wenn wir uns nicht erlauben, den Schmerz auch zu fühlen und ihn herauszulassen, dann wird es umso schwieriger, dieses „Loslassen“ hinzubekommen.   

Wie gelingt es denn, diese Gefühle zu spüren und auch herauszulassen? 

Das ist individuell unterschiedlich. Wenn man Wut oder Traurigkeit spürt, möchten manche Menschen das alles gerne aufschreiben, die anderen möchten vielleicht ins Kissen schreien, wieder andere möchten sich bewegen oder mit jemandem darüber sprechen. Ich finde es ganz wichtig, sich in irgendeiner Form Raum und Luft zu verschaffen und hier darf jede:r selbst herausfinden, was der individuell passende Weg ist.  

Wichtig ist außerdem, sich die Erlaubnis für diese Gefühle zu geben: Es ist okay, sie immer wieder zu fühlen. Und je mehr wir uns diese Erlaubnis geben können, desto leiser werden die Gefühle mit der Zeit werden.  

Hilft es aus deiner Sicht, schon am Anfang der Kinderwunschreise den Blick auf die eigene mentale Gesundheit zu richten und sich zum Beispiel selbst Anker zu erschaffen, die durch diese Zeit helfen können?  

Ich denke, dass grundsätzlich Anker für jeden Menschen wichtig sind, um die mentale Gesundheit zu stärken – präventiv und nicht erst, wenn zum Beispiel eine Krisensituation auftaucht. Wir können uns alle unsere eigenen Rituale, Routinen und Anker für den Alltag erschaffen, die uns stärken. Mit Blick auf die Kinderwunschreise finde ich es wieder wichtig, dass wir uns nicht überfordern – denn es gibt sowieso so viele Tipps und Ratschläge von außen. Wenn ich mir dann auch noch den Druck erzeuge, mir jetzt unbedingt Anker erschaffen zu müssen, dann kann das wieder in Stress ausarten.  

Mein Tipp ist es, in dieser Situation als allererstes eine Ta-Da-Liste anzulegen – also das Gegenteil von einer To-Do-Liste. 

Auf der Ta-Da-Liste stehen all die schönen Dinge, die mir Freude bereiten und bei denen ich gar keinen Druck spüre. Diese Liste ist auf dem Handy gespeichert und ich kann sie jederzeit anschauen, wenn ich merke, dass ich sehr angespannt bin und jetzt unbedingt eine Sache brauche, die mir garantiert guttut.  

Ich finde es wichtig, dass man hierbei Flexibilität bewahrt und jederzeit neu entscheiden – oder: neu entdecken – kann, was gerade etwas Stärkendes ist und dass man sich nicht zu sehr mit festen Routinen unter Druck setzt. Doch wenn man gemerkt hat, was in welcher Situation geholfen hat, dann ist es super, das zu notieren. So weiß man beim nächsten Mal vielleicht noch schneller, was wann hilft.   

Das ist sicher schon sehr hilfreich. Auf der Kinderwunschreise erleben Frauen und Paare immer wieder schmerzhafte Rückschläge – wenn beispielsweise ein Transfer nicht geklappt hat oder die Frau eine Fehlgeburt erleidet. Wie schafft man es, hier nicht den Mut zu verlieren? Welche Strategien gibt es, um zuversichtlich zu bleiben?  

Ich glaube, wenn sich irgendwann alles nur noch um dieses eine Ziel dreht und gleichzeitig das Risiko besteht, dass es mit einer Schwangerschaft am Ende nicht funktioniert, dann ist es hilfreich, sich durch eine Therapie oder ein Coaching Hilfe zu holen. Das kann dabei unterstützen, mit diesen Rückschlägen umzugehen und womöglich auch schon alternative Ziele für sich zu entwickeln.  

Da geht es um die Frage: Was ist für mich als Mensch ganz wichtig – egal, wie es ausgeht? Was gibt mir Kraft, was stärkt mich? Oft ist das der Partner oder die Partnerin, das sind Freund:innen, das ist die Familie oder der Beruf, das ist die Natur. Es gibt immer Dinge, die wir nicht zu 100 Prozent in der Hand haben und wenn man immer gut für sich sorgt – ganz unabhängig vom Ausgang dieser Reise – dann bleibt man als Mensch gestärkt. 

Wenn ich spüre, dass ich gerade durch eine Phase mit vielen Rückschlägen gehe, dann brauche ich vielleicht einfach mal eine Pause. 

Dann tut es möglicherweise gut, in den Urlaub zu fahren oder ein Wochenende mit einer Freundin zu verbringen. Das hilft, einmal abzuschalten, anstatt direkt wieder alles dranzusetzen, dass es beim nächsten Mal klappt. Hilfreich kann es auch sein, darauf zu schauen, wie man bisher im Leben mit Rückschlägen oder Krisen umgegangen ist. Vielleicht gab es damals auch nicht immer die Lösung oder das große Glück, aber am Ende konnte man doch einen Weg zu sich selbst finden und glücklich sein – wenn auch anders als gedacht.  

Frau mit geschlossenen Augen die ihre Hände auf ihr Herz gelegt hat
iStock/Ridofranz

Wie hilft auf der Kinderwunschreise, mit Blick auf die mentale Gesundheit, der Austausch mit anderen Betroffenen?  

Egal, um welches Thema es in unserem Leben geht: Es ist immer schön zu wissen, dass man nicht allein ist und dass man sich austauschen kann. Deshalb ist es wichtig, sich Gemeinschaften zu suchen, in denen man keine Maske aufsetzen muss, sondern in denen man spürt: Hier kann ich einfach sein, wie ich bin, mit all den Emotionen und Gedanken, die mich gerade beschäftigen. Sobald wir im Austausch mit anderen sind, fühlen wir uns gehört und verstanden, gleichzeitig besteht die Chance, dass wir Feedback bekommen, das uns weiterhilft.  

Wichtig ist bei mentaler Gesundheit immer, dass man im Blick hat, wie unterschiedlich wir alle sind. Was einer anderen Person gut tut, muss nicht auch zu mir passen. Man kann nicht alles auf sich selbst übertragen und manchmal kann vielleicht eher der Austausch mit Therapeut:innen oder Coaches helfen, anstatt mit Personen in der gleichen Situation. Vielleicht ist es auch mal die Mama oder eine Freundin, mit der man sich austauschen möchte. 

Hier darf jede:r spüren, was gerade hilft: Sind es Gespräche mit anderen Menschen auf Kinderwunschreise oder fühlen diese sich eher wie ein Strudel an, der einen weiter hineinzieht? Es darf sich auf der Kinderwunschreise immer wieder verändern, mit wem man gerade sprechen möchte und in welcher Dosis.  

Für viele Frauen auf Kinderwunschreise ist Social Media eine Anlaufstelle, um sich auszutauschen oder Input zu erhalten. Glaubst du, es kann mit Blick auf die Gesundheit eher schädlich oder hilfreich sein, sich zum Beispiel bei Instagram über andere Kinderwunschgeschichten zu informieren?  

Wie bei allen Themen kann Social Media ein Türöffner sein – ein Türöffner zu anderen Geschichten, die mich trösten oder mir Halt geben. 

Die mir das Gefühl geben, dass ich nicht allein bin. Manchmal kann es auch helfen, wenn ich etwas mehr in meiner Anonymität bleiben kann, und sobald ich sehe, dass andere Frauen über ihre Erfahrungen sprechen, bin ich auch mutig genug, meine Gefühle offen zu teilen.  

Doch es ist wie immer bei Social Media gefährlich, wenn ich zu sehr ins Vergleichen gehe: Was mache ich richtig, was mache ich falsch? Warum geht es bei einer anderen Frau so viel schneller? Muss ich jetzt doch schon in die Kinderwunschklinik gehen? In einer Zeit, in der man ohnehin schon sehr verunsichert ist, kann das viele Fragen aufwerfen, und es besteht das Risiko, dass man sich im Scrollen und Scrollen verliert – und sich am Ende ausgelaugt und ausgesaugt fühlt. Dann hilft es, Abstand zu nehmen und echte Beziehungen zu pflegen. Vielleicht raus in die Natur zu gehen und wieder mehr ins Spüren zu kommen.  

Und natürlich ist es so, dass uns der Algorithmus immer mehr von einem Thema gibt, wenn wir uns einmal damit beschäftigen. Das kann dafür sorgen, dass wir uns noch mehr mit der gewollten Schwangerschaft beschäftigen – und das zieht uns wieder tief in diesen Strudel hinein. Deshalb ist mein konkreter Tipp, den Algorithmus auf andere Art zu trainieren. Schau dir dafür bewusst Inhalte an, die dich entspannen, klicke Videos und Bilder an, die dich zum Lachen bringen – dann bekommst du automatisch mehr davon angezeigt. Und damit sind wir wieder bei dem Aspekt, über den wir am Anfang gesprochen haben: Wir können uns selbst helfen, loszulassen, wir können lachen und uns Glücksmomente erschaffen. Und das ist in dieser Zeit einfach ganz, ganz wichtig.  

Ein wirklich guter Tipp, vielen Dank! Hast du noch eine Strategie, was gegen das Vergleichen hilft – bei Social Media oder im realen Leben, wenn man plötzlich nur noch Schwangere sieht?  

Im ersten Schritt hilft es, dass einem das Vergleichen bewusst wird – oft merken wir gar nicht, wie oft das passiert. Und wenn ich erkenne, dass ich ins Vergleichen gehe, kann ich eine Atemübung machen und bei jedem Ausatmen “Lass los” denken. In diesem Fall bedeutet das: Lass diesen Vergleich los. Alternativ können wir uns auch etwas Positives aufsagen: 

“Ich bin gut so, wie ich bin. Ich bin kraftvoll, ich bin einzigartig.” 

Wichtig ist, dass dieser Satz zu einem selbst passt.  

Es hilft auch, wenn du dir Dinge aufschreibst, die du an dir selbst magst. Auch wenn es nur Kleinigkeiten sind, entsteht so eine Liste, die du in einer solchen Situation hervorziehen kannst und die dich stärkt. Wenn dir zunächst nichts einfällt, kannst du auch andere Menschen fragen: “Was schätzt du an mir, kannst du mir etwas Liebes auf einen Zettel schreiben?” Solche Zettel kannst du immer dann öffnen, wenn du gerade ins Vergleichen gehst und dich deshalb schlecht fühlst. Diese lieben Botschaften lenken den Blick weg von den anderen Personen und hin zu dir selbst – und sie zeigen dir, was bereits alles in dir steckt.  

lächelnde, blonde Frau mit Kaffeetasse in der Hand
Foto: Isabelle Wallace
Im Interview:

Laura Letschert 

Laura Letschert unterstützt Menschen in Veränderungsprozessen als systemischer Coach mit dem Ziel, die eigene Ausrichtung, Stabilität und Selbstwirksamkeit zu stärken. Sie lebt mit ihrem Partner in Warschau und arbeitet am liebsten für sinnstiftende Initiativen wie fertilitips, die unsere Gesellschaft von innen heraus stärken und zukunftsfähig machen.