Ihr wundert euch sicher, warum dieser Artikel wie ein Brief beginnt. Und irgendwie ist es tatsächlich ein Brief. Ein Brief, den man einer lieben Freundin schreibt. Sehr offen und sehr persönlich, denn ich möchte heute tatsächlich meine persönliche Geschichte mit euch teilen.
Mein Name ist Beyaz und ich leite derzeit das Projekt fertilitips. Aus unserer Rubrik „about us“ (Über uns | fertilitips.de) wisst ihr ja schon, dass unsere Gründerin, die liebe Eva, aus Ihrer persönlichen Kinderwunschreise heraus diese Plattform ins Leben gerufen hat. In Gesprächen haben wir relativ schnell festgestellt, dass wir im Team auch noch die eine oder andere selbst erlebte Geschichte haben, die hier erzählt werden sollte.
Hier also nun meine Geschichte.
Mein mittlerweile verstorbener Mann und ich haben uns nach unserer Tochter noch ein weiteres Kind gewünscht. Unsere Tochter war damals bereits 3 und ich 32 Jahre alt. Wir haben es also einfach versucht und es hat tatsächlich auf Anhieb geklappt.
„Herzlichen Glückwunsch, Sie bekommen Zwillinge“, sagte uns mein Gynäkologe und wir waren erstmal baff. Damit hatten wir nun wirklich nicht gerechnet. So viele Gedanken, die mir, und sichtlich auch meinem Mann, damals in den Kopf schossen. Der erste Schock. Die darauffolgende Angst. Überforderung. Und die Sorge. Sorge darüber, ob wir das alles schaffen. Ob wir allen Kindern gleichermaßen gerecht werden können. Wie es mit zwei Säuglingen sein wird. Ob wir 3 Kinder finanziell stemmen können.
Aber natürlich war da auch eine riesige Freude. Wir bekommen Zwillinge!
Relativ früh, schon so ab der 12. Schwangerschaftswoche, hatte ich das Gefühl „irgendwas stimmt hier nicht“. Ich bin natürlich regelmäßig zu den Untersuchungen und da der Gynäkologe mir immer wieder bestätigte, dass alles in Ordnung sei, habe ich darauf vertraut. Und ich wusste ja auch nicht, wie sich eine Zwillingsschwangerschaft anfühlt. Und bei den Ultraschalluntersuchungen konnten wir die beiden kleinen Herzen schlagen sehen. Alles schien also völlig normal zu verlaufen.
Es waren laut unserem Gynäkologen 2 scheinbar gesunde Mädchen. Eineiige Zwillinge. Und trotzdem war da mein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Und dieses Gefühl hatte ich nicht aus einer Unsicherheit oder unbegründeten Sorge heraus, sondern weil ich mich nicht gut fühlte. Ich war erst im 4. Monat schwanger und mein Bauch fühlte sich schon derart unter Druck an, als würde ich gleich platzen. Da mein Gynäkologe mich immer wieder durch die Untersuchungen und Testergebnisse beruhigte, vertraute ich darauf und machte mir keine weiteren Gedanken dazu. Und trotzdem ließ mich dieses Gefühl aber nicht los: irgendetwas stimmt hier einfach nicht.
Ich glaube, es war in der 15. oder 16. Schwangerschaftswoche und ich fuhr allein zur Untersuchung zu meinem Gynäkologen, da mein Mann jobbedingt verreist war. Alles lief erstmal wie immer ab. Nur, dass der Gynäkologe irgendwann das Licht ausschalten ließ (vermutlich um einen höheren Kontrast auf seinem Bildschirm zu haben) und mich viel länger untersuchte als sonst. Er unterbrach die Untersuchung auch ein paar Mal und ging ins Nebenzimmer. Ich konnte hören, dass er telefoniert, aber ich konnte nicht verstehen, worum es ging.
Und wieder dieser Gedanke, den ich die ganze Zeit allein mit mir rumgetragen hatte, und der sich nun zu bestätigen schien: Irgendwas stimmt hier einfach nicht.
Der Gynäkologe erklärte mir dann, dass ich sofort im Anschluss zu einem anderen Arzt fahren müsse, denn dieser habe ein deutlich feineres Ultraschallgerät (die Gefäße bei Zwillingen sind deutlich feiner) und dort würde mir dann nach der Untersuchung auch alles erklärt werden. Also fuhr ich von Köln direkt nach Hürth zu diesem besagten Arzt.
Als ich die Praxis betrat, war diese voll und ich dachte schon, ich würde dort stundenlang warten müssen. Die Arzthelferin, die mir jedoch schon hektisch entgegenkam, fragte mich, wer ich sei, und sagte dann „Sie kommen bitte sofort mit. Herr Doktor wartet schon auf Sie“.
Und wieder wurde ich in einem dunklen Raum mit einem Ultraschall-Gerät untersucht. Wieder telefonierte der Arzt. Diesmal mit zwei Kliniken. In Leverkusen und in Hamburg.
Ich hatte starke Rückenschmerzen und so langsam dämmerte mir wohl auch, dass die (Ärzte) gerade herausfinden, dass tatsächlich etwas gravierendes nicht stimmt. Und meine Geduld war nun, nach etlichen Stunden, auch am Ende. Ich setzte mich auf, zog meinen Pulli über meinen Bauch und sagte: „Niemand fasst mich mehr an, bevor mir nicht irgendjemand mal endlich erklärt, was hier eigentlich los ist!“.
Der Arzt schaltete das Licht wieder ein und bat mich an seinen Schreibtisch. Er erklärte mir dann, dass bei mir das Fetofetale Transfusionssydrom vorläge (abgekürzt FFTS, synonym Zwillings-Syndrom; englisch twin-to-twin transfusion syndrome, abgekürzt TTTS;Zwillingstransfusions-syndrom: Klinik für Geburtsmedizin - Charité – Universitätsmedizin Berlin).
Ein Kind habe viel zu viel Fruchtwasser und das andere viel zu wenig.
Das „zu viel“ waren in meinem Fall ca. 10 l, das „zu wenig“ 200 ml (normal wären in diesem Schwangerschaftsstadium wohl ca. 350 - 500 ml).
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Das Fetofetale Transfusionssyndrom (FFTS) ist ein seltenes Krankheitsbild und kommt in 1 von 1500 Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen an einer gemeinsamen Plazenta (Mutterkuchen) vor.
Hierbei entwickelt sich ein gravierendes Ungleichgewicht zwischen den beiden fetalen Blutkreisläufen. Ein Zwilling gibt sein Blut an den anderen Zwilling ab und wird somit schlechter versorgt. Die Herzfunktion des Donators (der Zwilling, der Blut abgibt) ist durch die Unterversorgung stark beeinträchtigt, und die schlechte Durchblutung der Nieren führt zu einer verminderten Fruchtwasserproduktion. Der Donator kann sich nicht richtig entwickeln. Der Akzeptor (der Zwilling, der das Blut erhält) wird überversorgt und kann das vermehrte Blut nicht richtig abpumpen. Sein Herz wird stark belastet, wodurch sich der Herzmuskel vergrößert. Dies stört die Kreislauffunktion. Zudem produziert der Akzeptor viel zu viel Fruchtwasser, was das Wachstum der Lungen beeinträchtigen und dazu führen kann, dass die Fruchtblase vorzeitig platzt.
Bei der Geburt ist der Donator meist sichtbar kleiner und blass, der Akzeptor meist dunkelrot, mit Blut „überfüllt“ und größer als sein Zwillingsgeschwister. Beide Feten haben ein hohes Risiko für neurologische Schäden, so dass ohne Behandlung (wenn eine möglich ist) die Wahrscheinlichkeit, dass beide Kinder noch im Mutterleib sterben, bei etwa 90 Prozent liegt.
Ich habe all diese Informationen im Nachgang noch einmal nachlesen müssen, da ich damals derart schockiert war, dass ich nicht alles aufnehmen konnte, was der Arzt mir erklärte. Und ich weiß bis heute nicht mehr genau, wie ich an diesem Tag von der Praxis zu meiner Freundin gefahren bin. Da mein Mann ja beruflich verreist war und ich ihm diese Nachricht nicht am Telefon überbringen wollte, hatte ich erstmal eine Freundin angerufen und war zu ihr gefahren.
Vielen Dank dafür, dass du damals für mich da warst, liebe Nevin.
An dieser Stelle möchte ich euch all die unzähligen Untersuchungen und die von Ängsten und Schmerzen geprägten Tage und schlaflosen Nächte ersparen und switche direkt zu unserer letzten Hoffnung, einem Spezialisten für FFTS in Hamburg.
Die Fahrt in die Klinik war eine einzige Tortur, da ich aufgrund des übermäßigen Fruchtwassers starke Rückenschmerzen hatte und mir somit das Sitzen sehr schwerfiel. Und dann noch so eine lange Strecke von Köln nach Hamburg. Wir kamen nachts in der Klinik an.
Als uns gesagt wurde, dass der Arzt gleich für die Untersuchung noch kommen würde, wurde uns erneut bewusst, wie ernst die Lage tatsächlich war. Es war 00:30 Uhr.
Ich wurde also mitten in der Nacht untersucht und mir wurde gesagt, dass am nächsten morgen noch einige weitere Untersuchungen durchgeführt würden und wir dann entsprechend die Ergebnisse mitgeteilt bekämen.
Leider konnte uns jedoch auch dieser sehr erfahrene Arzt, keinerlei Hoffnung auf ein happy end machen. Die Ausprägung bei unseren Zwillingen sei leider nicht zu behandeln. Und leider sollte er mit seiner Einschätzung recht behalten. Wenige Tage nach unserer Rückkehr nach Köln, brachte ich unsere beiden Mädchen leider tot auf die Welt und ich habe die Geburt, aufgrund des starken Blutverlustes, selbst nur um Haaresbreite überlebt.
Ich habe meine Geschichte hier stark abgekürzt, da ihr euch vorstellen könnt, dass alle Einzelheiten ein Buch füllen würden. Aber ich möchte unbedingt noch auf 3 (mir sehr wichtige) Punkte hinweisen:
- Meine Erlebnisse liegen über 10 Jahre zurück. Vermutlich wurde die Forschung vorangetrieben und die Behandlungsmethoden haben sich ganz sicher erweitert und verbessert.
- Bitte hört immer auf euer Bauchgefühl und seit hartnäckig, wenn ihr das Gefühl habt, dass etwas nicht stimmt. Unsere Intuition ist eine große Gabe. Und das ist jetzt natürlich reine Spekulation, aber manchmal denke ich, dass man die Mädchen vielleicht hätte retten können, wenn ich energischer gewesen wäre. Wenn ich frühzeitiger auf eine Feindiagnostik bestanden hätte.
- Und zum Abschluss möchte ich eine Aussage des Facharztes teilen, deren Bedeutung mir erst nach dem Verlust der Zwillinge so richtig bewusst geworden ist.
„…viele Paare, die Hilfesuchend in unsere Klinik kommen, haben meist eine Jahrelange Kinderwunschbehandlung hinter sich. Dann werden Sie endlich beim x-ten Versuch durch eine künstliche Befruchtung schwanger. Häufig liegt dann eine Zwillingsschwangerschaft vor. Die Freude darüber ist meist so groß, dass diese Paare fast immer bereits ein eingerichtetes Kinderzimmer zu Hause haben. Häufig können wir diesen Paaren nicht helfen und sie kehren mit „leeren Händen“ nach Hause zurück. - Verstehen Sie mich nun bitte nicht falsch, aber versuchen Sie Ihren Fokus auf Ihre kleine Tochter zu richten. Denn glücklicherweise sind und bleiben Sie Eltern, auch wenn Sie mit „leeren Händen“ nach Hause zurückkehren...“
Diese Aussage des Arztes, der ich damals situationsbedingt nicht so viel Beachtung geschenkt hatte, hat im Nachgang dafür gesorgt, dass ich an diesem Erlebnis nicht zerbrochen bin. Mein Glaube und das Bewusstsein darüber, dass es im Leben immer noch viel schlimmer hätte kommen können und die Dankbarkeit über ein bereits vorhandenes, gesundes Kind, hat mich in dieser schweren Zeit und auch bei der anschließenden Entscheidung, keine weiteren Kinder zu bekommen, nicht verzweifeln lassen.
Mittlerweile habe ich den Verlust der Zwillinge und den späteren Verlust meines Mannes gut verarbeitet und wir leben ein sehr bewusstes und dankbares Leben gemeinsam mit meiner Tochter in unserem wunderschönen Köln.
Love-Note
Zum Abschluss möchte ich noch ein Zitat von Oscar Wilde mit euch teilen, nach dem ich mittlerweile lebe:
Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.
Und dieses Zitat habe ich für mich persönlich um folgenden Satz ergänzt:
Hab‘ Geduld und sei dankbar für die vermeintlich selbstverständlichen Dinge im Leben.
Ganz viel Liebe, Eure Be